Donnerstag, 18. März 2010
Der Zensor singt im Chor
Mit seinem Hit "Sing heil" lieferte der als "Junger Mann aus Barth" bekannt gewordene Barther Bomber den einzigen kulturhistorisch nachweisbaren Beitrag des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern zur deutschen Gegenwarts-Comedy: Vor einer Stereoanlage aus China, mit einem koreanischen Mikrophon, gekleidet in türkisches T-Shirt und Hose aus Bangladesh rappte der Einzeltäter bei zunehmend abnehmender Beleuchtung wütend gegen alles Fremde und Feindliche außerhalb seines Kinderzimmers.
A Star was born! Binnen weniger Tage versammelte sich um das im Lars-Trier-Gedächtnisstil gedrehte Doku-Video vom ersten und einzigen Auftritt des arhythmisch stotternden Sprachschamanen eine vieltausendköpfige Menschenmenge. Wie um Lagerfeuer kuschelten die Fans um die ab Werk ramponierten Reime. Wie bei der Großliteratin Hegemann entspannen sich Debatten darüber, ob der Barther Bomber seine fragwürdigen Verse wohl wirklich alle selbst ausgedacht oder ob er sie nicht vielmehr verbotenen Rechtsrockgruppen aus den vor Hass schaumigen Schandmäulern gerissen habe.
Youtube reagierte sofort. Kaum hatte die Videoredaktion von PPQ exklusiv eine HD-Version mit remastertem Ton auf das angeblich der US-amerikanischen Vorstellung von Meinungsfreiheit verpflichtete Portal gestellt, schlug der Zensor zu. Tausenden Zuschauern wurde der Zugang zum "Director Cut", einem Stück deutscher Hochkultur in weißen Hosen verwehrt. Die PPQ-Filmrestauratoren, nur dem Guten und Schönen verpflichtet, bekamen eine sogenannte "Kontowarnung" zugestellt, derzufolge es sich bei dem Barther Pop-Werk um eine Handreichung zur Wiedererrichtung des Dritten und/oder nachfolgender Reiche handele, die im Interesse von Staatssicherheit und Völkerfreundschaft "ausgemerzt" (Heiner Geißler) gehöre.
Flugs wechselte der Barther Bomber zum Portal Veoh.com, das
Berichten zufolge vor der Pleite steht. Dort würden, so spekulierte das Redaktionskollegium, die Freiheit von Kunst und Meinung aus monetären Gründen eher mehr respektiert. Weniger Mitarbeiter sperren einfach weniger Videos.
Es hat dann in der Tat auch sechs Wochen gedauert, bis auch Veoh das Video als "containing nudity or explicit content" identifizieren konnte, wie es in einem Schreiben heißt. Das Zensorenkollektiv habe "changed the rating" von unserem "content to correctly identify its contents" als gefährlich und "to make sure that it will be properly filtered by the Veoh content filter".
Braucht es da noch Ursula von der Leyen? Braucht es deutsche Gesetze zur schärferen Netzkontolle? Braucht es ein Google-Street-View-Verbot und den einheitlich elektronischen Personalausweis mit E-Krankenkarte und Bundespasswort für das Bundesmailpostfach? Längst singt der Zensor im Chor, wie Die Anmerkung parallel erfahren durfte: Der Aufklärungsfilm "So versext ist der Polizeiruf 110" wurde von Youtube ebenfalls gesperrt. Obwohl doch bekannt ist, dass es sich bei Freikörperkultur und Kommissar Wolfgang Winkler um die beiden großen DDR-Errungenschaften handelt, die der Osten mitgebracht hat ins nunmehr "vereinigte Deutschland" (Lothar de Maiziere). Verboten, ausgelöscht und kriminalisiert auch sie. Setzt Wasser auf, das Netz braucht womöglich eine Tea Party.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen